"Contra": Rassismus ist hier nur ein Problemchen (2024)

Sönke Wortmann hat einen sehr deutschen Wohlfühlfilm gedreht: In "Contra" beleidigt ein Professor eine Studentin. Aber für niemanden wird es wirklich schlimm.

Eine Rezension von Matthias Dell

Sönke Wortmann galt im deutschen Kino mal als großer Name.Vom kommerziellen Erfolg der Katja-Riemann-Til-Schweiger-Komödie Der bewegteMann (1994) machte sein Werk in den Nullerjahren einen Ausflug zu nationalen Erbauungsgeschichten, in denen Fußball gespielt wurde (DasWunder von Bern, 2003, der Dokumentarfilm Deutschland. Ein Sommermärchen zur WM 2006), um wiederzurückzufinden zu Beziehungs- und Konversationsfilmen (Frau Müller muss weg!, 2014). Als deren Vorlage hielten auchTheaterstücke her.

Wenn Wortmann nach Der Vorname (2018) nun mit Contra zum zweiten Mal einen französischen Kinoerfolg nachDeutschland adaptiert, liegt das einerseits auf dieser Linie bürgerlicherUnterhaltungsstoffe. Es ist andererseits aber schon mal kein Zeichen für dieInnovationsfreude des deutschen Kinos. Wobei man da ehrlicherweise gerade fragenmüsste: Was wäre schon eins?

In dem Film beleidigt ein weißer Professor eine Studentin rassistisch und wird von der eigenen Universitätsleitung dazuverdonnert, der Frau bei der Vorbereitung für einen Redewettbewerb zu helfen, umetwas wiedergutzumachen. Als halbwegs dramatische Pointe lauert im Film nochein wenig Gefahr: Was passiert, wenn die Studentin rauskriegt, dass derProfessor nicht aus Altruismus hilft, sondern weil er seine Anstellung nichtverlieren will?

Im Kern wärmt Contra also die My-Fair-Lady-Situation beziehungsweise den Pygmalion-Mythos auf: Ein weißerMann kann die Frau (beziehungsweise die Statue) aufgrund seines Checkertumsderart mit Wissen und Manieren vollquatschen, dass die sich in ihnverlieben darf. Wobei Letzteres der Betrachterin hier erspart bleibt. Daraus wird dann eine Komödie, weil das Ziel des Films Versöhnung ist(und die Geschlechterauffassung des Pygmalion-Stoffs selbst in einer westdeutschgeprägten Bundesrepublik 2021 nicht mehr ernsthaft zu vermitteln wäre). Außerdemhat das Genre den Vorteil des Uneigentlichen – es ist doch alles nicht so ernstgemeint. Wenn's zu argwar, kann sich der Professor als Scherzkeks relativieren. Dann trötet das Problem Rassismus als einer der größten Elefanten indeutschen Stuben gleich gedämpfter.

Das Dämpfen ist für Wortmanns Adaption (Drehbuch: Doron Wisotzky)
überhaupt wichtig. Denn im Vergleich zur Vorlage LeBrio (die in den deutschen Kinos 2018 unter demTitel Diebrillante Mademoiselle Neïla lief) bieten vor allem die Besetzung und Ausgestaltung der Figuren keine Kanten oder Ecken.

Im französischen Original spielt Daniel Auteuil den Professor. Der ist älterals der Unirektor und mit Plauze und einem spürbaren Zug ins Sackige durchausunsympathisch angelegt. Ungefragt erklärt er einer Hunde ausführenden Frau die Welt. An seine Stelle tritt beiWortmann Christoph Maria Herbst. Der ist zweifellos ein guter Comedian und hateine tolle Hörbuchstimme mit formvollendeter Artikulation. Aber gerade dadurch entfernt Herbst seinenProfessor von einer Figur eigener Kraft und Zuschreibungen wie sympathisch oderunsympathisch. Er spielt keine Figur, eher ein Programm, das
Diskursgesten abstrahiert und so perfekt sitzt wie der Anzug. So beherrscht Herbst zwar etwa das zufriedene Zum-Rotweinglas-Greifen des Snobsin einem elitären High-End-Lokal, wo Auteuils Professor eben lebensnäher in einerdurchschnittlichen Brasserie aß.

Das Leben, das dieser Professor nicht versprüht, wird ihmvom Drehbuch angedichtet: Er hat seine Tochter verloren und es also schwer. Dassind so spezifisch deutsche Wattierungen, die bei genauer Betrachtung vomThema ablenken: Was hat der familiäre Schicksalsschlag noch mal mit demRassismus der Figur zu tun? Das alles hat zum Ergebnis, dass Contra Nachspielzeit für die virtuos vorgetragenen Abwertungen desProfessors schindet, von deren Abpfiff der Film doch eigentlich handelt.

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Auch die zweite Hauptrolle setzt im Vergleich zumfranzösischen Original andere Akzente. Wo dort Camélia Jordana dieStudentin mit einer gewissen Rotzigkeit spielt, wird Nilam Farooqs Figur in daseinzige Frauenbild eingedeutscht, das die hiesige Komödie kennt– sie bekommt eine Brille. Keine stylishe, wie modebewusste junge Leute sietragen könnten, sondern eine, die den Abstand zum Zentrum des Lebens belegen, etwas Ungeschicktes und Zurückhaltendes vermitteln und die Schönheit Farooqs kaschieren soll. Entwicklung im deutschen Kino ist,wenn ein hässliches Entlein, das keines ist, die Brille abnimmt,die hässlich machen soll. Wegen ihrer fahrigen Bewegungen wird ihr irgendwann allen Ernstes eine"handelsübliche Katzenglocke" angehängt (vielleicht ist diePygmalion-Nummer doch noch nicht ganz durch). Und auch die Studentin kriegt noch biografische Extras angedichtet – einen Problembruderetwa, der das Hierarchisieren von Zuneigung einfacher macht in Gefilden, in diesich Wortmann-Filme normalerweise nicht verlaufen.

Dabei wird dann auf großes Bildgebürstet: In Le Brio spielt die Studentin mit ihren Freunden Werwolf in einer schmucklosen Wohnung mit wenig spezifischem Sofa,wo sich die Runde in Contra im herrlichsten Sonnenlicht auf einemSpielplatz drapiert. Was zum restlichen Look des Films passt (Kamera: HollyFink). Mit den Reisen zu den verschiedenen Austragungsorten desRedewettbewerbs produziert er nationaltouristische Bilder solchen Glanzes und Glückes, dass die Bahn diese Aufnahmen demnächst für eine Werbekampagnezweitnutzen könnte. Unter einem Motto, das auch zum Versöhnungsprogramm von Contra passt: "Wunderschönes Deutschland, du bist einfachmärchenhaft."

"Contra" läuft von 28. Oktober an in deutschen Kinos.

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